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Erweiterte DNA-Analysen in der Schweiz

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German
Einleitung

In der Schweiz ist es verboten, aus einer DNA-Spur eines Tatorts Haut-, Haar- und Augenfarbe sowie die Herkunft der Person, von der die Spur stammt, abzuschätzen. Doch derzeit wird eine Gesetzesänderung debattiert. Dabei spielen rassistische Argumentationen und überzogene Hoffnungen eine große Rolle.

Nach der Änderung des Strafrechts in Deutschland steht zurzeit auch in der Schweiz eine Gesetzesänderung kurz vor der Genehmigung, die erweiterte DNA-Untersuchungsmethoden in polizeilichen Ermittlungsverfahren zulassen soll. Ähnlich wie in Bayern seit Mai 2018 und auf Bundesebene seit Dezember 2019, ist zu erwarten, dass zukünftig auch in der Schweiz aus DNA-Spuren von Tatorten äußerlich sichtbare Merkmale (meist DNA-Phänotypisierung genannt) und die wahrscheinliche Herkunft der Person (meist biogeographische Herkunft), von der die DNA-Spur stammt, abgeschätzt werden dürfen. Bislang gilt in der Schweiz eine ganz ähnliche Regelung wie vormals in Deutschland: Anhand der DNA-Spuren dürfen ausschließlich spezifische Marker zur Identitätsfeststellung einer Person (sogenannter genetischer Fingerabdruck) sowie das Geschlecht bestimmt werden. Alle weiteren Analysen wurden im DNA-Profil-Gesetz  explizit ausgeschlossen. In dem 2003 verabschiedeten und 2005 in Kraft getretenen Gesetz heißt es, dass das „DNA-Profil […] nur aus den nichtcodierenden Abschnitten der Erbsubstanz DNA gewonnen wird“ (DNA-Profil-Gesetz, Art. 2 Abs. 1). Zudem darf „weder nach dem Gesundheitszustand noch nach anderen persönlichen Eigenschaften mit Ausnahme des Geschlechts“ geforscht werden (ebd., Art. 2 Abs. 2).

Das Verbot, die DNA für weitere Analysen zu nutzen, basiert auf der zu Beginn der 2000er Jahre von allen politischen Fraktionen im Grundsatz geteilten Ansicht, dass DNA-Daten eines hohen Schutzstatus bedürfen, da ihre Analyse und Speicherung ein gravierender Eingriff in Persönlichkeitsrechte sei. Hintergrund waren umfangreiche gesellschaftliche Debatten, die seit den 1980er Jahren in vielen Ländern intensiv geführt worden waren und sich um die Gefahren von Genanalysen, Genmanipulation und der Gentechnologie im Allgemeinen drehten. Auch in der Schweiz wurde etwa vor dem „Gläsernen Menschen“ sowie vor Problemen mit dem Datenschutz gewarnt. Angesichts der Erfahrungen mit Eugenik und Euthanasie warnten Kritiker*innen vor einer möglichen „systematischen Politik der Ausmerze und Auslese“.1 In der schweizerischen Parlamentsdebatte zum DNA-Profil-Gesetz unterstrich beispielsweise der Sozialdemokrat Jean-Nils de Dardel 2002 die Gefahr, dass „hochsensible personenbezogene Daten preisgegeben“ werden könnten. Insbesondere befürchtete er, dass „Angaben über die ethnische Herkunft und den Gesundheitsstatus erfasst“ würden. Dadurch könne es „zur öffentlichen Stigmatisierung ganzer Communitys, die durch ihre kulturelle, ethnische oder rassische Identität charakterisiert werden“ kommen. Ruth Metzler, damalige Bundesrätin der Christdemokratischen Volkspartei (CVP), argumentierte gegen diese Bedenken, dass aufgrund der gesetzlichen Beschränkungen Informationen etwa über die „Augenfarbe oder über Krankheitsveranlagungen“ nicht ausgelesen werden dürften. Als Konsequenz der Gefahren, die unter anderem de Dardel benannt hatte, enthielt das Gesetz schließlich verhältnismäßig strikte Begrenzungen der Analyseverfahren, insbesondere sollten keine DNA-Bereiche analysiert werden, die für Proteine und damit für möglicherweise sichtbare Merkmale codieren. Doch genau diese werden aktuell wieder in Frage gestellt.

Debatte zur geplanten Gesetzesrevision

Im Dezember 2015 stellte Albert Vitali, Nationalrat der Partei FDP/Die Liberalen, durch einen parlamentarischen Antrag eine Revision des DNA-Profil-Gesetzes zur Debatte. Die gemeinsame Initiative mit 36 weiteren Politiker*innen – vor allem von der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) und FDP/Liberalen – verfolgte das Ziel, Ermittlungsbehörden weitere DNA-Untersuchungsmethoden zu erlauben. Das betrifft einerseits Analysen von codierenden Bereichen des Genoms und andererseits die Suche nach „anderen persönlichen Eigenschaften“, also der wahrscheinlichen geographischen und ethnischen Herkunft einer Person bzw. deren Vorfahren.
Die Initiative von Vitali und anderen bezog sich dabei auf einen Fall schwerer Körperverletzung und Vergewaltigung in Emmen, unweit von Luzern.2 Im Begründungstext zur Gesetzesrevision wählte Vitali einen überzogenen Tonfall, um mögliche Kritik abzuwehren. Er schrieb von „Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger“ und pries die erweiterten DNA-Auswertungen als Segen für die Ermittlungsarbeit. Zwar ist eine starke emotionale Aufladung des Begründungstextes angesichts einer solch schweren Straftat nachvollziehbar. Aber mit dieser sowie mit den überhöhten Hoffnungen an die erweiterten DNA-Auswertungen wird keinesfalls eine differenzierte politische Debatte ermöglicht. Denn bei genauerer Betrachtung spricht bei den Ermittlungen in Emmen überhaupt nichts für eine Zulassung phänotypischer und biogeographischer DNA-Untersuchungen. Denn die geschädigte Frau konnte Angaben zum Täter machen, die über das hinausgehen, was mit den nun geforderten Testmethoden ermittelbar ist. Unter anderem sagte sie aus, der Täter habe schwarzbraunes, krauses Haar, habe gebrochen Deutsch gesprochen und sich selbst Aaron genannt. Eine erweiterte DNA-Analyse könnte dem höchstwahrscheinlich keine wesentlichen Informationen hinzufügen und somit nichts zur Aufklärung der Straftat beitragen.

Doch warum gründeten Vitali et al. Ihre Initiative um die Zulassung erweiterter DNA-Analysen gerade an dieser Straftat? Eine mögliche Erklärung ist die in der Debatte immer mehr oder weniger offen mitschwingenden Rassifizierung der mutmaßlichen in der Regel männlichen Täter. Die aus der Phänotyp- oder Herkunftsabschätzung erhofften Ergebnisse gehen offenbar schnell mit rassistischen Bildern des „kriminellen Ausländers“ und des „gefährlichen“ sowie „sexuell zügellosen Anderen“ zusammen. Nach der Tat in Emmen häuften sich in den sozialen Medien sowie in den lokalen Tageszeitungen schnell rassistische Assoziationen. Die örtliche Polizei musste sogar einen Aufruf nach Zeug*innen auf ihrer Facebook-Seite nach zwei Tagen wieder entfernen, da mehrere „rassendiskriminierende“ Kommentare abgegeben worden waren. Vier Tage nach der Tat kommentierte Hans Fehr, Nationalrat der SVP, in einem Zeitungsinterview: „Diese Tat ist absolut unfassbar. Deshalb müssen wir die Zuwanderung in den Griff bekommen“. Am darauffolgenden Tag klebten in Emmen Plakate und Aufkleber der völkisch-nationalistischen Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) mit dem Slogan: „Ausländergewalt ist nicht tolerierbar! Jetzt die PNOS unterstützen“. Die Tat eines Einzelnen wurde in der Öffentlichkeit vielfach generalisierend mit Zuwanderung und „Ausländern“ assoziiert. Wie ein Jahr später in der Debatte in Freiburg nahmen diese Äußerungen die Straftat also zum Anlass, um das rassistische Stereotyp des gewalttätigen Anderen zu reproduzieren. Kriminalität und Migration wurden dabei in eins gesetzt und aus einer biologisch-rassifizierenden Logik heraus genetische Tests zur Abschätzung äußerer Merkmale und der Herkunft als Lösung präsentiert.

Die in der Schweiz geführte Debatte stellt keinesfalls eine Besonderheit dar. Bereits die weltweit erste Anwendung eines genetischen Herkunftstests zu Ermittlungszwecken in den Niederlanden im Jahr 2000 fand im Kontext rassistischer Äußerungen von Politiker*innen, Medien und Öffentlichkeit statt. Den Hintergrund bildete ebenfalls eine Vergewaltigung, bei der das Opfer, die 16-jährige Marianne Vaatstra, im Mai 1999 ermordet wurde. Sofort galten die Bewohner einer in unmittelbarer Nähe zum Tatort liegenden Unterkunft für Asylsuchende pauschal als Verdächtige. Neben der Nähe der Unterkunft wurde behauptet, die Art der Tötung, durch einen Kehlkopfschnitt sei „nicht-niederländisch“.  Die Asylsuchenden konnten aber alle mittels eines genetischen Abgleichs ihrer DNA mit der am Tatort aufgefundenen DNA entlastet werden – es wurde also gerade keine erweiterte DNA-Analyse, sondern ein Identitätsabgleich durchgeführt. Da die Ermittlungsbehörden über keine sachdienlichen Hinweise verfügten, beauftragte die Staatsanwaltschaft einen niederländischen Evolutionsgenetiker, ein genetisches Analyseverfahren anzuwenden, das sich damals gerade in der Entwicklung befand. Die Analyse ergab, dass das genetische Profil der am Tatort gefunden DNA zwar im Nordwesten Europas verbreitet sei, aber in den Herkunftsländern der Asylsuchenden nur höchst selten vorkomme. Weil mit diesem Ergebnis aber zu viele Männer als mögliche Täter in Frage kamen, führte diese Untersuchungsmethode zu keinem Ermittlungserfolg und versagte damit gerade aufgrund des rassifizierenden Eingrenzungsversuchs. Erst 2012 konnte als Täter ein Bauer aus der Gegend ermittelt werden. Zum Erfolg führte letztlich ein konventioneller Massengentest (genetisches Profil) von ca. 8.000 Männern aus der Umgebung um den Tatort.

„Ausländer“ im Visier

Im Vaatstra-Fall wurden also die zunächst verdächtigten Asylsuchenden durch die neue Technologie erneut entlastet. Dennoch hoffen die Protagonist*innen der Gesetzesänderung in der Schweiz, mit erweiterten DNA-Analysen verstärkt „Ausländer“ ins Visier nehmen zu können. So lassen sich jedenfalls Äußerungen von SVP-Politiker*innen deuten, aus deren Kreis die meiste Unterstützung für Vitalis Initiative kommt. Auf ihrer Homepage kommentiert die SVP die Gesetzesrevision gleich im ersten Absatz mit der Behauptung, diese würde die „Sicherheit in der Schweiz nachhaltig verbessern“. Dabei wird die Novellierung in den Zusammenhang gebracht mit Vergehen gegen das „Ausländergesetz“ sowie mit Straftaten „ausländischer Staatsangehöriger“.

Anstelle einer differenzierten Diskussion über die Potenziale und Gefahren der Technologie sowie einer Abwägung ihres Nutzens und ihrer sozialen Folgen scheint die Debatte durch rassistische Grundannahmen motiviert zu sein. Unterstützer*innen der Gesetzesänderung versuchen zudem, Kritik durch unangemessene Vorwürfe (wie dem angeblichen „Täterschutz für Mörder und Vergewaltiger“ von Vitali) zu delegitimieren. Dabei gibt es gerade in Bezug auf neue Rassifizierungen im Kontext von erweiterten DNA-Analysemethoden eine ganze Menge, von Stigmatisierungsgefahren, über damit verbundenen Rassifizierungen, bis zu Persönlichkeitsrechten und Datenschutzfragen zu diskutieren. Ein gravierendes Problem, mit dem ein Umgang gefunden werden muss, besteht darin, dass für Ermittlungen in der Regel nur solche DNA-Merkmale weiterführend sind, mit denen der Kreis der Verdächtigen eingegrenzt werden kann. Anders gesagt, die erweiterten DNA-Untersuchungsmethoden sind diskriminierend, und zwar sowohl in ihrer technischen Umsetzung als auch in ihre Anwendung in der Ermittlungsarbeit. Die Information, dass ein*e Täter*in wahrscheinlich weiß ist, braune Haare hat und aus Mitteleuropa kommt, führt nur selten zu einem Fahndungserfolg, da in der Regel zu viele Personen als Täter*in in Frage kommen. Dies konnte die Wissenschaftsforscherin Amâde M’charek schon anhand des Vaatstra-Falls deutlich herausarbeiten: „niederländische Herkunft oder weiße Hautfarbe sind keine informativen Bevölkerungskategorien für polizeiliche Ermittlungen.“ Verweist die Analyse aber auf eine Minoritätengruppe, droht diese leicht ins Visier von Behörden und Öffentlichkeit zu geraten. Das ist genau die Gefahr, die de Dardel in der Debatte 2002 vorhergesehen hatte: Wenn die ethnische Herkunft erfasst wird, setzt dies ganze Bevölkerungsgruppen der Gefahr einer öffentlichen Stigmatisierung aus. Diese Gefahr wird in der aktuellen schweizerischen Debatte kaum mehr bedacht. Ignoriert wird zudem, dass die neuen DNA-Analysemethoden auf typologische Schemata zurückgreifen – also auf die Vorstellung der Rasseforschung, der Anthropologie und Schädelkunde des 19. Jahrhunderts, wonach Menschen anhand charakteristischer körperlicher Merkmale eindeutig spezifischen Gruppen zuordbar sein sollten. Wie solche Schemata weiterwirken zeigt sich etwa im Jahresbericht des Schweizer Bundesamts für Polizei von 2018, dessen Autor*innen sich auch zu den geplanten  Änderung des DNA-Profil-Gesetzes äußern und die biogeographische Herkunft dabei als sichtbares Merkmal darstellen. Ein solcher Kurzschluss von Herkunftswahrscheinlichkeiten auf sichtbare Merkmale eines Individuums wird von Expert*innen zurecht kritisiert. Möglich wird eine solche Annahme nur mittels homogenisierender Durchschnittswerte einer üblichen Person einer spezifischen geographischen Region. Solche verallgemeinernden Annahmen mittels typologischer Schemata nähren zwar das rassistische Phantasma von „gefährlichen Anderen“, für die Fahndung nach einer konkreten tatverdächtigen Person dürften sie indes nur selten relevant sein. All diese Probleme und Gefahren gilt es in der derzeitigen Debatte ausreichend zu erörtern. Es sollte mit den potentiell betroffenen Interessengruppen diskutiert und gesellschaftlich abgewogen werden, was und in welcher Weise etwas Ermittlungsbehörden erlaubt sein soll. Leider sind eine Vielzahl der im Kontext der Gesetzesinitiative gemachten Äußerungen Beispiele dafür, wie es nicht gemacht werden sollte, mit dem Ergebnis, dass rassifizierende und stigmatisierende Praktiken institutionell legitimiert werden.

  • 1. Z.B. Idel, Anita (1986): Gentechnologie und einige Folgen. Oder Mies, Maria (1986): Argumente wider den Bio-Krieg. In: Die Grünen, Michaela Brockskothen, Inge Hehr, Ruth Kühn und Ulrike Meyer (Hg.): Frauen gegen Gentechnik und Reproduktionstechnik. Köln: Kölner Volksblatt, S. 64–65 u. S. 114–118.
  • 2. Dort war im Juli 2015 eine 26-jährige Frau brutal vom Fahrrad gerissen, vergewaltigt und derart misshandelt worden, dass sie seither querschnittsgelähmt ist.
Kasten_1

Dieser Text entstand im Kontext der BMBF-Forschungsgruppe SoSciBio an der Uni Freiburg (01GP1710). Vielen Dank an Isabel Schön, Dominik Weber, Laura Schnieder, Nils Ellebrecht, Andrea zur Nieden und Isabelle Bartram für die Kommentierung und Diskussion.

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Ein neues DNA-Gesetz für Polizeiermittlungen

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